Phänomenal: Rennmaus 'Ratte'


Dreimal dem Tod knapp entkommen!

Sie heißt 'Ratte', weil sie beim Auslauf immer auf meine Schulter klettert und dort wie eine Ratte sitzenbleibt. 'Ratte' hat mit 3 Jahren schon ein bewegtes Leben hinter sich gebracht (die Geschichten passierten kurz hintereinander im November 2001 und Januar 2002. Ratte wurde 5 Jahre alt!!!). Während einer Schwangerschaft brach sie sich das Bein. Aber da lebte Ratte noch nicht bei mir, ich habe sie übernommen. Trotzdem säugte sie pflichtgetreu ihre fünf Babys und brachte sie alle durch. Eines ihrer Kinder ist die schwarze Shambala, die bei den Rennmäusen abgebildet ist.

Dann geschah eines Tages ein Unfall - es ist mir zwar sehr peinlich, das gestehen zu müssen, aber Ratte fiel ins Klo! Ich hatte sie mit Zorro (der hübsche schwarz-weiss gestreifte Mäuserich neben Shambala) zusammen im Bad laufen lassen und nie im Leben mit der Möglichkeit gerechnet, dass sie direkt in die Kloschüssel hineinspringen könnte. Glück ist gar kein Ausdruck mehr, dass ich in dem Moment gerade zur Toilette musste. Ich registrierte sofort etwas irritiert, dass Ratte nicht da war. Dann der Schock, als ich Ratte in der Kloschüssel liegen sah - völlig starr.

Ich muss gestehen, dass ich zuallererst den Impuls verspürte, die ertrunkene Maus hinunterzuspülen - denn dass sie das war, davon war ich überzeugt. Um mich dem Schock, den Ekelgefühlen und natürlich großem Schuldgefühl nicht stellen zu müssen, sondern so zu tun, als sei nichts geschehen. In der nächsten Sekunde bezwang ich mich aber wieder, griff mit der bloßen Hand in die Schüssel hinein und holte die leblose Ratte heraus.

Aber war da noch ein Zucken? Ich sah keinen Herzschlag mehr. "Es ist zu spät," dachte ich, "das überlebt sie nicht. Du weißt, wie empfindlich Mäuse sind, und dann dieser Schock."
Plötzlich zuckte sie stärker. "Wenn, dann muss es jetzt schnell gehen," dachte ich, stürzte mit Ratte in der Hand zum Kleiderschrank und holte ein Handtuch und die Rotlichtlampe heraus. Ich fing an, sie mit dem Handtuch trocken zu reiben und hielt sie dabei die ganze Zeit vor die Rotlichtlampe. "Verdammt heiß, aber Hauptsache, die Maus kommt durch, dafür verbrenne ich mir auch gerne die Finger." Nach 10 Minuten wurde die Atmung zu meiner nicht geringen Verwunderung stärker, nach einer Viertelstunde schlug das Herz noch etwas schneller.

Nach weiteren 10 Minuten erschien mir Rattes Zustand stabil, in Windeseile baute ich meinen Orgonstrahler auf und stellte die Information der Bachblüten-Rescue-Tropfen ein (siehe Geschichte: Campbell-Zwerghamster Idefix - eine Bachblütenbehandlung). Ich rieb sie weiter trocken. Inzwischen war über eine halbe Stunde vergangen, Ratte zappelte immer stärker und wollte kaum nocht still halten. Ich setzte sie in ein kleines Aquarium und füllte es mit Vogelsand, damit Ratte sich selber trocken buddeln konnte. Sie wühlte mit sichtlichem Vergügen. Nochmal vor die Rotlichtlampe, aber diesmal hielt Ratte überhaupt nicht mehr still.

Nach einem kurzen Moment setzte ich sie wieder in den Sand, Ratte stumpte ihre Schnauze hinein, grub und schaufelte mit wachsender Begeisterung. Und ich schaute ziemlich perplex und erschöpft zu und konnte es kaum glauben. Eine Dreiviertelstunde war vergangen, Ratte, immer noch etwas feucht, wühlte quietschfidel im Sand, und das ganze schien ihr nicht das geringste ausgemacht zu haben. Sie stank übrigens fürchterlich, aber das war mir egal.

Rennmaus Ratte 2. Teil

Es sollte nicht Rattes letzte Prüfung gewesen sein. Nur zwei Monate später kämpften wir gemeinsam um ihr Leben wie nie zuvor. Und Ratte brauchte ihre ganze Zähigkeit, um zu überleben.

Sie war in einem schön ausgebauten Terrarium von 1 m Länge mit drei Weibchen untergebracht. Für die Größe sind das nicht zuviele Weibchen, die im allgemeinen etwas unverträglicher als Männchen sind. Doch eines Nachts fingen sie plötzlich ohne ersichtlichen Grund an, die hartgeprüfte Rennmaus Ratte durchs Terrarium zu jagen. Dabei fiel Ratte in den Wassernapf, den ich vorsorglich zusätzlich zur Wasserflasche aufgestellt hatte. Ich fand sie am Morgen auf dem obersten Sitzbrett zusammen gekauert, durchnässt und frierend vor. Der hintere Rücken und der Schwanz waren blutig gebissen. Durch den Stress war sie dünner geworden.

Ich setzte sie sofort in einen Einzelkäfig unter die Rotlichtlampe. Leider zeigte sich, dass Ratte am Nachmittag immer noch nichts fressen wollte. Da Nagetiere wenig Energiereserven haben, kann eine Rennmaus innerhalb von 24 Stunden in akute Lebensgefahr kommen. Wenn ein Nagetier hohem Stress ausgesetzt war, kann es immer noch sterben, auch wenn es normal frisst. Denn durch Stress steigen Herzschlag und Blutdruck an, folglich wird mehr Energie verbraucht. Ratte ist ohnehin schon sehr dünn und drahtig, doch eine solche Konstitution ist eben auch sehr zäh. Nun hatte sie aber nochmal 2 g abgenommen, wog nur noch 60 g und war sehr schwach.

Ich begann also, sie mit einer Spritze zu säugen. Wenn ein Nagetier 15% von seinem normalen Gewicht abgenommen hat, ist der Zustand bedrohlich, und es muss alle zwei Stunden gesäugt werden, auch nachts! Zwischendurch muss es zwar in Ruhe schlafen können, aber immer wieder gesäugt - oder wenn es selbständig frisst - zum Fressen geweckt werden. Andernfalls nippt es nämlich nur kurz am Futter und dämmert dann vor Schwäche gleich wieder weg. Ein Nagetier, das lebensbedrohlich abgemagert ist und dann die ganze Nacht durchschläft, ist verloren!

Gerade bei Rennmäusen ist das Säugen aber sehr schwierig, da sie kaum still halten. Ratte jedoch ergriff mit beiden Pfoten die Spritze, klammerte sich richtig daran fest - als wollte sie sich ans Leben klammern - und trank die Spritze in einem Zug leer. Etwas so einfaches hatte ich bei einer Rennmaus noch nie erlebt. Nun brauchte ich "nur noch" den Wecker zu stellen und alle zwei Stunden zu säugen, bis nachts um halb 5! Und dann morgens um 9 gleich zur Tierärztin.

Die war geschockt über den Zustand der Maus, denn Ratte konnte kaum noch laufen, sondern taumelte nur. Weil sie davon überzeugt war, dass die Maus sowieso nicht mehr durchkommt, wollte sie die Behandlung zuerst verweigern, aber ich wollte Ratte die Chance geben und überredetet sie regelrecht. Immer das Bild vor Augen, wie Ratte sich beim Säugen an die Spritze geklammert hatte.

Sie stellte fest, dass ein Zahn abgebrochen und schief gewachsen war, so dass Ratte vorher schon Schwierigkeiten beim Fressen gehabt haben musste. Wir vermuteten beide, dass das der Grund gewesen war, weshalb die Rennmäuse Ratte aus dem Gruppenverband ausgestoßen hatten. Denn höchstwahrscheinlich hatte der abgebrochene Zahn geblutet, die Tiere hatten Rattes Schwäche gespürt.

Die Tierärztin entfernte den Zahn und gab Ratte noch eine Traubenzuckerspritze. Weil es draußen sehr kalt war - Anfang Dezember - hatte ich Ratte bei der Autofahrt in meinen Ärmel gesteckt. Das ist sehr viel wärmer als in einer Transportbox, außerdem hatte Ratte einen engen Bezug zu mir - eine Idee, die auch die Leute im Wartezimmer sehr originell fanden. Nun zeigte Ratte nach dem Piekser der Spritze auf einmal wieder Leben und machte einen Satz in den schutzbietenden Ärmel zurück. Ich war freudig überrascht.

Zu Hause säugte ich Ratte wieder im 2-Stundenrhythmus bis in den frühen Morgen um halb 5 hinein und versorgte den blutigen und leicht eiternden Rücken mit Jod und Lavendelöl (vgl. Geschichte: Campbellhamster Idefix). Tag und Nacht brannte die Rotlichtlampe. Innerhalb von zwei Tagen legte Ratte wieder an Gewicht zu von 60 g auf 66 g. Vorher hatte sie 68 g gewogen. Sie hatte also fast wieder ihr Originalgewicht erreicht, war aber noch lange nicht über den Berg. Am dritten Tag trank Ratte keine Milch mehr, sondern ungesüßten, biologischen Karottensaft, der ihr sehr gut schmeckte.

Nageraufzuchtmilch ist zwar wegen der besseren Verträglichkeit vorzuziehen, aber ich war zu erschöpft, um die auch noch anzurühren. Ich schrieb in der Zeit an meinem Zwerghamsterbuch und befand mich in der Hochphase des Buches. Auch habe ich von genügend Durchfallerkrankungen trotz Nageraufzuchtmilch gehört bei einer starken Stressbelastung. Hamster sind sehr viel anfälliger für Verdauungserkrankungen, bei ihnen ist Milch abzulehnen.

Nach einer Woche war Ratte zwar noch lange nicht gesund, aber über den Berg. Größere Vereiterungen traten zum Glück nicht ein. Eine große Fläche verkrusteter Schorfwunde begann sich allmählich abzulösen, darunter befand sich glücklicherweise ebenso kaum Eiter. Dann jedoch zeigte eine andere, noch sehr junge Rennmaus, die ich vergeblich versuchte hatte einzugliedern, Stresssymptome und verlor an Körperwärme. Ich entfernte die Rotlichtlampe von Ratte und behandelte damit die andere Maus. Leider war das ein Fehler, denn Ratte bekam einen Rückfall. Sie fraß weniger, und plötzlich war das Gewicht wieder bei 64 g.

Ich begann Ratte wieder zu säugen und redete mir dabei selber Mut zu. Immerhin seien die Wunden am Rücken schon etwas besser, dadurch hätte sie mehr Energie zur Verfügung, die nicht für die Wundheilung benötigt würde, jedenfalls nicht in dem Maße wie vorher. Tatsächlich sah es aber nicht gut aus.

Denn sie trank nicht mehr so schön, sondern drehte immer wieder den Kopf weg. Außerdem kaute sie auf der Plastikspritze herum und drohte sie innerhalb kürzester Zeit zu zerbeissen. Also besorgte ich mir im Laborfachhandel eine Metallspritze und ließ mir auch einen dünnen Metallaufsatz zuschneiden. Die Metallspritze erwies sich dann doch als zu schwer, schließlich steckte ich den Metallaufsatz auf die Plastikspritze und konnte sie so gut ins Maul einführen. Das gefiel Ratte gar nicht, immer wieder drückte sie die Spritze mit den Pfoten weg. Nach allem, was ich getan hatte, wollte ich aber nicht aufgeben und beutelte sie schließlich. So schaffte ich es, ihr doch noch Milch einzuflößen.

Nach ein paar Stunden trank Ratte wieder freiwillig - allerdings nur 1-2 Zehntelmilliliter. Ich setzte kurz ab, ließ sie etwas ausruhen und setzte dann wieder an. Wieder das gleiche Spiel, einen Zehntel Milliliter trinken, 5 Minuten ausruhen. Hier war der 2-Stundenrhythmus witzlos, im Grunde war ich die ganze Nacht am Säugen. Da sie aber diesmal nicht soviel abgenommen hatte, gönnte ich mir schon um halb 3 Uhr meinen dringend benötigten Schlaf.

Nach zwei Tagen lag das Gewicht wieder bei 66 g, aber leider brach der halbe Schwanz ab, was mich sehr traurig stimmte. Ratte störte es nicht, sie buddelte und wühlte schon wieder. Nach 6 Wochen war die Wunde so gut wie verheilt, und Ratte war wieder einmal mit dem Leben davongekommen.

Rennmaus Ratte 3. Teil

Und ein drittes Mal hätte Rennmaus Ratte beinahe ihr Leben verloren:

Eines abends kam ich nach Hause, wollte ihr nochmal Futter geben und erschrak. Denn Ratte lag bewegungslos im Käfig und rührte sich nicht mehr. Ich nahm sie auf die Hand, sie war schon ganz kalt. Da registrierte ich, daß sie voller Milben war.

Es war weniger Verzweiflung, die mich bei Rattes Anblick ergriff, sondern viel mehr Müdigkeit und Resignation. Nach allem, was wir durchgestanden hatten, sollte es doch umsonst gewesen sein. Ich hielt sie auf der Hand, um mich von ihr zu verabschieden, mit Tränen in den Augen. Dabei dachte ich daran, wie zäh Ratte ist. Und so erwachte doch wieder der Kampfgeist, ich dachte, einen Versuch kann ich machen und sie unter die Rotlichtlampe legen, zumindest stirbt sie dann schön warm.

Es war einfach unglaublich, sie zuckte plötzlich, das Herz schlug schneller und sie erholte sich in einem Tempo, das sagenhaft war. Eine knappe Viertelstunde war vergangen, und sie zappelte schon wieder. Zwar war sie noch zu schwach zum Aufstehen, und sie hatte schon wieder Gewicht verloren. Ratte magert eben schnell ab, weil sie sowieso sehr dünn und drahtig ist. Aber auch zäh!

Ihr Partner Zorro hatte keine Milben, sondern nur Ratte, weil sie wohl noch nicht ganz in Ordnung gewesen war.

Zorro


Milben können sich überall aufhalten, nicht selten werden sie durch Heu oder Einstreu eingeschleppt, wie man immer wieder von sehr verantwortungsbewussten und glaubwürdigen Haltern hört. Oft wird ein Nagetier, das durch Krankheit oder eine Verletzung geschwächt ist, trotz guter Hygiene befallen, während sämtliche gesunde Nager im selben Raum ohne Befall sind. Ratte hatte sich soweit gut erholt, auch die Wunde am Schwanz war gut verheilt, aber das Immunsystem war wohl doch noch etwas schwach.

Ich spritzte ihr Milch ein, sie trank wieder schön mit. Nach zwei Stunden drückte sie die Spritze weg, zappelte stark in meiner Hand und fraß von da an wieder selbständig. Am nächsten Tag hatte sie schon wieder zugenommen und erholte sich zusehend. Sie war wieder bei ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Buddeln und Wühlen. Außerdem nagte sie am Gitter des Quarantänekäfigs, und brachte damit ihr Missfallen zum Ausdruck, dass er ihr zu klein ist. Aber ich entschied, dass sie erst einmal unter der Rotlichtlampe bleibt.

Ist diese Rennmaus nicht einfach unglaublich?



Rennmaus Ratte 4. Teil

Mit 3 1/2 Jahren nochmal schwanger!





Eigentlich dachte ich selber, die Geschichten über Rennmaus Ratte wären hiermit zu Ende, und ich würde irgendwann nur noch ihren verdienten Nachruf schreiben. Aber diese Rennmaus ist immer wieder für eine neue Überraschung gut.

Nach allem was sie durchgemacht hat, hatte ich wirklich nicht vorgehabt, mit ihr noch zu züchten. Normalerweise hört ab einem Alter von 3 Jahren die Vermehrung beim Weibchen auf, manchmal schon ab 2 1/2. Nicht so bei Rennmaus Ratte! Ganz unbesorgt, dass sich kein Nachwuchs mehr einstellen würde, hatte ich sie mit ihrem Partner Zorro im Terrarium zusammen gelassen. Mitte Juli 2002 traute ich meinen Ohren kaum, als ich plötzlich ein Fiepen aus dem Nest hörte. Ratte hat zwei gesunde muntere Babys zur Welt gebracht.


Ein Weibchen fand sofort eine begeisterte Abnehmerin. Ein Männchen mit einer hübschen weißen Blesse habe ich behalten und setze es zur Zucht ein. Zuchtmerkmal Zähigkeit! ;-)

Baby Humphrey



Oktober 2003: Ratte ist jetzt 5 Jahre!!!

Sie schläft zwar sehr viel, frisst aber noch gut und freut sich nach wie vor ihres Lebens. Ihr Fell ist zwar sehr struppig und die Augen sind ganz klein, aber ich finde sie nach wie vor wunderhübsch.


Abschied

Und nun hat Rennmaus Ratte, von der viele sagen, dass sie wie eine Katze mehrere Leben hätte, ihr letztes Leben ausgegeben. Am 11. November 2003 fand ich sie abends beim Heimkommen leblos im Terrarium vor. Ich bin sehr froh, dass Ratte nicht eingeschläfert werden musste, sondern von selbst eingeschlafen ist. Leb wohl, Rennmaus Ratte, ich werde dich und deinen Mut nie vergessen!





Zorro, Titelbild vom Mäusebuch

Zum Abschluss eine sehr gute Nachricht:
Zorro, Gefährte von Rennmaus Ratte, der ebenfalls fast fünf Jahre alt wurde, wurde Titelbildmaus von meinem Mäusebuch. Und an einer Stelle sind die beiden beim Schlafen aneinandergekuschelt zu sehen. Das ist eine schöne Erinnerung für mich.
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