Leseprobe Psychotherapiesatiren

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Unsere Kurklinik

Ein Patient liegt unaufhaltsam im Sterben,
voll Hilflosigkeit sehe ich sein Verderben,
ich leide mit ihm um sein tragisches End’,
denn unsere Klinik ist selbst der Patient.

Wenn menschliche Schicksale dort berichtenswert werden, wo sie Persönliches preisgeben, so will auch ich mich offenbaren. Meine Geschichte ist der Aufstieg eines jungen und begabten Arztes - nämlich von mir selber - vom Moment an, wo er leider wieder absteigt.

Ich habe Human- und Tiermedizin studiert und habe eine Zusatzausbildung als Psychologe, Neurologe, Gynäkologe, Bakteriologe, Radiologe, Kardiologe, Graphologe, Dermatologe, Onkologe, Ontologe, Ökologe, Ufologe.
Zunächst arbeitete ich als Assistenzarzt ein halbes Jahr in einer Kurklinik, bekanntermaßen ist das zu kurz, um Arbeitslosengeld zu kriegen. Wegen der Gesundheitsreform entwickelte die Kliniksleitung drei neurotische Zwangsgedanken: 1. sparen, 2. sparen, 3. sparen.

Also stand auf dem neuen Therapieplan: Beschäftigungstherapie Kartoffelschälen. Zugegeben, die Küchenmesser waren eindeutig zu scharf, aber ich verstehe trotzdem nicht, warum manche Leute immer gleich zum Anwalt rennen müssen. Schließlich ist dann irgendwann Gras drüber gewachsen nach der Beisetzung.

Aber man lernt man doch auch aus Fehlern, besonders wir! So dauerte es nicht lange, und es gab eine wunderbare Ergänzung, auf die wir alle stolz waren : Unser Nähkurs! Schade war nur, dass er wegen Überfüllung geschlossen werden musste.

Die Kunst- und die Musiktherapie fanden in der Fußgängerzone statt, die Therapeuten sammelten das Geld ein.
Um unser therapeutisches Konzept zu erläutern, bedarf es einer Erläuteung: Die Patienten waren bei uns in drei Gruppen eingeteilt, P, D und S.

Die P-Gruppe, die Psychopathen, wurde in den Kurgarten geschickt zum Gemüseziehen. Der Garten gefiel den Patienten sehr gut. Zu gut vielleicht, denn sie legten sich in die Sonne und lagen auf der faulen Haut.

Die S-Gruppe, die Gruppe mit dem Schuldkomplex, hat dagegen ganz vorbildlich an sich gearbeitet. Ihre Aufgabe war es, die Schnecken vom Gemüse zu sammeln. Nur hatten wir leider noch kein Gemüse, denn die D-Gruppe, die Depressiven, war weder bereit, für die P-Gruppe, die Psychopathen, einzuspringen, noch die Schnecken in Essig und Öl einzulegen, geschweige denn, sie auf dem Wochenmarkt zu verkaufen.

Der Kaffee für die Patienten wurde erst einmal gestrichen. Angesichts unserer angespannten Wirtschaftslage gab es nur noch Brennnesseltee. Brennnesseln wuchsen im Kurgarten reichlich dank der Psychopathen, die immer noch träge in der Sonne lagen.

Der Oberarzt teilte schließlich das Pflegepersonal zum Gemüseziehen ein. Außerdem war er der Ansicht, dass die Depressiven mit der Aufgabenstellung überfordert gewesen waren wegen der Schneckensymbolik. Eine Schnecke - und die Rede ist hier nicht von der roten Wegschnecke, eindeutig ein Phallussymbol, - sondern von einer Schnecke mit eigenen Haus, eine solche Schnecke ist also das archetypische Symbol für das weibliche Geschlechtsteil - oder aber für den Spätkapitalismus. Wie auch immer, jedenfalls bekamen wir Assistenzärzte den Auftrag zum Schneckensammeln.

Das Pflegepersonal ging nicht wie geplant in den Kurgarten, sondern zum Betriebsrat. Daraufhin teilte der Oberarzt uns Assistenzärzte zum Gemüseziehen ein und die S-Gruppe, die Gruppe mit dem Schuldkomplex, zum Gemüseverkauf auf dem Weihnachtsmarkt, inzwischen war nämlich schon Weihnachten. Aber die S-Gruppe fühlte sich zu schuldig zum Arbeiten, das Pflegepersonal trat in einen Warnstreik, und dreimal dürfen Sie raten, wer dann den Krempel verkaufen durfte - und zwar an den nächsten Wanderzirkus, inzwischen war nämlich alles verwelkt.

Es stellte sich heraus, dass es ein Fehler gewesen war, das ganze Gemüse zu verkaufen, denn in der Kliniksküche wurde gerade gestreikt.
Der Oberarzt zögerte nicht lange und schickte uns Assistenzärzte in den Kurgarten zur Kaninchenjagd. Meine Idee war, dass die P-Gruppe, die Psychopathen, den Kaninchen das Fell abziehen sollte im Rahmen der Gestaltungstherapie. Die Therapie war ein Bombenerfolg, das einzige, was zur krönenden Vollendung fehlte, waren die Kaninchen.

Der Plan war nämlich, dass die Gruppe mit dem Schuldkomplex uns Assistenzärzten die Kaninchen zutreiben sollte. Wir sollten sie dann den Psychopathen ins Netz treiben und die Depressiven sollten in der Zeit den Tisch decken. Ein Sprichwort sagt: Viele Jäger sind der Hasen Tod. Wir waren aber nur noch sehr wenige.

Die Depressiven brachen die Therapie ab und fuhren nach Hause, weil sie in unserer Klinik nur noch Sinnlosigkeit empfinden würden, wie sie uns zum Abschied mitteilten. Das Pflegepersonal hatte aus heiterem Himmel gekündigt. Der Betriebsrat hatte ebenfalls gekündigt. Die Gruppe mit dem Schuldkomplex fühlte sich deshalb schuldig. Die ganze S-Gruppe lungerte tagein, tagaus antriebslos in der Küche herum und wartete auf Essen. Und die Psychopathen, die während ihres ganzen Aufenthalts nur faul in der Sonne gelegen hatten und so natürlich keinen Durchbruch in der Therapie erzielen konnten, hatten inzwischen ihren eigenen Garten gepachtet.

Nun stürzten wir Assistenzärzte in eine tiefe Sinnkrise. Noch schlimmer hatte es jedoch den Chefarzt erwischt, er litt unter schweren Alpträumen. Er träumte, er wäre Assistenzarzt in einer Kurklinik. Richtig gesund waren eigentlich nur noch die Kaninchen und der Oberarzt. Kurz darauf meldete unsere Kurklinik Konkurs an.

Aber so einfach aufgeben kennen wir nicht!
Der Oberarzt machte eine Umschulung zum Bankkaufmann, wir Assistenzärzte nahmen alle einen Kredit bei ihm auf und gemeinsam eröffneten wir wieder nach nur drei Jahren unsere Kurklinik.

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